Frage: GS1 ist im öffentlichen Bewusstsein wenig bekannt. Dabei gehen wir täglich mit den Ergebnissen der Arbeit von GS1 um: mit Barcodes, Scannern und Daten. Was war Ihre Motivation und Ihr Ziel sich gerade mit einem Leitfaden für „Sustainable Product Claims“ zu beschäftigen? Und das nicht zum ersten Mal? 

Als globale neutrale Plattform für Handel und Industrie sowie als Not-for-Profit Organisation beschäftigen wir uns mit einer Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen unserer Community. Diese betreffen zum einen klassisch datengetriebene Problemstellungen, die beispielsweise in Form der von Ihnen aufgezählten Lösungswege kanalisiert werden. Zum anderen gibt es Sonderthemen, die unsere Kunden umtreiben. So wurde in diesem Fall von unserem Expertengremium im Bereich Nachhaltigkeit der Wunsch geäußert, einen Leitfaden zu erstellen, der den Unternehmen eine Orientierungshilfe für die Anwendung nachhaltigkeitsbezogener Produktaussagen bietet. Dies geschah erstmalig 2014. Mit der Neuauflage im Jahr 2022 wird GS1 den dynamischen Veränderungen gerecht, die bei dem Thema im Laufe der Jahre stattgefunden haben. Die zunehmenden Erwartungshaltungen in dem Bereich, insbesondere vom Gesetzgeber und von der Gesellschaft, lassen vermuten, dass es in den kommenden Jahren weitere Neuauflagen mit kürzeren Intervallen erfordern wird. 

Frage:  Mit Ihrem Leitfaden zeigen Sie das Spannungsfeld zwischen gesetzlicher Normierung von Begriffen und dem Verständnis von Verbrauchern auf. Wie beurteilen Sie dabei die zunehmende Verschärfung der gesetzlichen Regelungen? 

Mit den regulatorischen Anpassungen, welche bereits erfolgt sind, aber auch weiterhin erfolgen werden, will der Gesetzgeber auf die vorherrschende Diskrepanz zwischen Aussagen seitens Unternehmen und Verständnis seitens Konsument:innen reagieren. Das wurde in den letzten Jahren in erster Linie durch eine zunehmende Zahl von Gerichtsurteilen vorgenommen. Durch die angekündigte europäische Green Claims Initiative sowie die UWG-Novelle, die für das kommende Jahr erwartet wird, werden auf regulatorischer Ebene weitere Anforderungen daran erwartet, welche Aussagen in welcher Form von Unternehmen getroffen werden dürfen. Am Ende wird natürlich als Ergebnis erhofft, dass die Transparenz erhöht und sich somit Product Claims und Kundenverständnis zunehmend annähern. 

Frage: Der Leitfaden ist in Zusammenarbeit mit namhaften Praxispartnern entstanden. Was waren ihre wichtigsten Erkenntnisse in diesem Prozess? 

Zunächst ist hervorzuheben, dass es sich bei den Unternehmenspartnern aus einer Mischung aus Handel und Industrie handelte. Diese Konstellation wählten wir bewusst, um verschiedene Perspektiven und Erfahrungen auf das Thema zu erhalten. Auch die weitere Einbindung erfahrener Expert:innen, wissenschaftlicher Einrichtungen sowie eines Fachanwalts boten die erforderliche Expertise für den vorliegenden Leitfaden.  

Als wichtigste würde ich die Erkenntnis nennen, dass die meisten Produktaussagen keine Schwarz-Weiß Unterscheidung zulassen. Die Diskussionen in der Gruppe, von der Definition der Begriffe bis hin zu deren Eignung, wurden daher sehr intensiv geführt, was zur Qualität des Dokuments beigetragen, aber auch die Schwierigkeit des Themenfelds unterstrichen hat. Weiterhin hat sich beim Austausch und in der Recherche die wachsende Dynamik des Themas eindrucksvoll gezeigt. Deshalb ist davon auszugehen, dass in zwei Jahren bereits ein inhaltlich stark veränderter Leitfaden vorliegen wird. In unserer Recherche hat sich zudem gezeigt, wie unterschiedlich einzelne Begriffe von verschiedenen Anspruchsgruppen bisher definiert und verstanden werden. Als Paradebeispiel hierfür nehme ich am liebsten den Claim „Regionales Produkt“. Konsument:innen verstehen diese Aussage vermeintlich gut. Beschäftigt man sich jedoch mit ihrer Definition, wird deutlich, dass sie alles andere als eindeutig ist. 

 Peter Uhlig ist Referent im Workshop Augen auf bei Green Claims!

Zum Kongressprogramm